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In der ägyptischen Wüste lebte der Altvater Markus. Sein ruhmreiches Asketentum zog eine Menge Volk an, und um den ständigen Störungen beim Gebet zu entgehen, gedachte er, an einen anderen Ort zu fliehen, ging jedoch zuerst nach Alexandrien, um sich den Segen des Patriarchen zu holen. In Alexandrien jedoch wurde er durch die Reden eines Häretikers und Kreuzgegners verführt, welcher das Kreuz mit einem Galgen verglich und dazu aufrief, dieses furchtbare Todeswerkzeug des Herrn zu vernichten. Markus riss sich das Kreuz vom Hals und zerbrach es. So verfuhr er auch mit noch einem Kreuz, welches er in seiner Zelle hatte, er zerbrach es und vergrub die Bruchstücke und bespuckte täglich die Stelle, wo sie verscharrt waren. Eines Tages jedoch hört er: „Markus! Wozu hast du Mein Wahrzeichen beleidigt? Wozu Mein irdisches Lager befleckt, Meine himmlische Höhe, irdische Tiefe und Breite im unendlichen Kosmos? Weshalb hast du dies getan?“ „Herr! Wofür geruhst Du mich zu bestrafen?“, fragte der Altvater und bekam zur Antwort: „Für das Zertreten und Beflecken Meines Kreuzes, auf dem Ich die Menschheit von der Erde zum Himmel emporgetragen habe… Steh‘ auf und sieh!“ Markus erhob sich. Das ganze Himmelsgewölbe war von wunderbarem Licht erfüllt. Weder Sonne noch Mond und Sterne waren da; es schien, als habe sich das ganze Weltall in Licht verwandelt. Der Altvater wandte sich nach Osten und sah: Der Himmel hatte sich nach unten und nach oben und in alle Richtungen ausgedehnt, auch die Erdoberfläche war nicht mehr da, die er sonst jeden Tag von morgens bis abends gesehen hatte. Die Erde selbst war zu einem Punkt geworden, auf dem die Gerechten stehen. In der Ferne zog sich ein Kreuz über das gesamte Himmelsgewölbe. Der ganze Kosmos war zu einem einzigen Kreuz geworden, das aus purem Licht bestand, welches nicht die Augen blendete wie die Sonne, sondern weich und angenehm war. Sein unteres Ende versank in unendlicher Tiefe, das obere dagegen erhob sich in endlose Höhe. Der Gerechte sah, dass es nichts gab, was tiefer gewesen wäre als der Fuß des Kreuzes, und nichts höher als dessen Spitze. Nach beiden Seiten erstreckten sich die Enden seines Querbalkens in die unendliche Weite. Und dem Altvater wurde bewusst, dass es nach rechts und links nichts weiter Entferntes gab, als nur die Enden dieses Kreuzbalkens. Ein Engel mit dem Aussehen eines Jünglings sagte zu dem Altvater:

„Sieh hin und höre! Das Kreuz ist ein Bild des Weltalls. Es ist die Geschichte alles Seienden, vom Anbeginn der Schöpfung… Im Kreuz ist das gesamte vernünftige Weltall dargestellt, das der Engel wie auch das der Menschen. Einziger Anfang beider ist der Sohn Gottes. Seine Kraft und Allmacht ist grenzenlos in der Höhe, in der Tiefe und in der Weite. Das wird durch die vier Enden des Kreuzes dargestellt. Verneigen wir uns also vor dem Kreuz Christi.“

Und Engel und Mensch verneigten sich dreifach vor dem Kreuz.


Aus der 1. Vorlesung “Gottesfurcht”