Gefaltete Hände beim Gebet

Verleihe meinen Worten Flügel, oh Herr!

Im neunten Abschnitt der Kultphilosophie behandelt Vr. Pawel das Gebet, den „Dienst der Vernunft“, ohne das kein Sakrament bewirkt und kein Alltag geheiligt werden kann.

„Nimm das Wort vom Wasser weg, so wird es nur Wasser sein; füge das Wort hinzu, so wird es zum Sakrament“, sagt der heilige Augustinus.

Vr. Pawel Florenski selbst sagt:

Das Ritual existiert objektiv, doch ist es solches durch das Gebet. Jemanden unterzutauchen bedeutet nicht, ihn zu taufen. Ein Stück aus einer Prosphora herauszuschneiden ist kein Vollzug der Zurüstung, wenn dabei die Gebetsformel nicht gesprochen und auch nicht gedacht wird. Jemandem Kränze aufzusetzen bedeutet nicht, diese Menschen zu trauen.

Er analysiert, was ein Gebet zum Gebet macht, und gibt uns einen “Bauplan”:


  1. Die Anrufung („Allheilige Gottesmutter“, „Heiliger XY“ usw.)
  2. Die Referenz („Der Du Deine Jüngern nach Emmaus begleitet“, „den Gelähmten geheilt“ …)
  3. Die Bitte („schenke auch uns“, „gib uns auch heute die Kraft“ …)
  4. Der Name des Herrn als Siegel („denn Dir gebührt alle Ehre“, „denn Dein ist“ …)
  5. Das „Amen“ als „Klammer“

Im Übrigen ist das auch mal ein durchaus produktiver Ansatz für eine katechetische Bastelstunde: Wir „erfinden“ ein Gebet!

O heiliger Kastor von Karden, Confluentias Schutzherr,
Du hast den Wassern der Mosel geboten und mit machtvollen Worten die Schiffer bekehrt.
Führe auch mich durch die Stürme des Lebens
zu meinem sicheren Hafen, zum Herrn.
Denn Ihm gebührt alle Ehre und Verherrlichung, in Ewigkeit
Amen.

Ich habe nun gerade Florenski.de um den formidablen Verriss “bereichert”, den Nikolai Berdjajew gleich im Erscheinungsjahr 1914 dem „Pfeiler“ angedeihen ließ. (Siehe hier). Einer der zentralen Vorwürfe:
Vr. Pawel restauriere eine mittelalterliche Orthodoxie, während das Leben längst nicht mehr dazu passe. (Berdjajew postulierte ein anbrechendes “neues religiöses Bewusstsein” ohne den beschwerlichen Umweg über Selbsterkenntnis und -reinigung, und ohne die “störenden” Dogmen, die Vr. Pawel als Maßstab für die Wahrheit jeglicher mystischer Offenbarung anlegte.)

Aber wirklich: Schaut man in eine der vielen (häufig Reprint-) Ausgaben des Trebnik, des russischen Benediktionale/Euchologion, wo also die ganzen Gebetsordnungen drinstehen, dann findet man da alle möglichen mehr oder weniger obsoleten Weihen und Segnungen, ob für Weinberge, Backöfen, Tennen, Ziehbrunnen oder Zaren.

Bitt-, Dank- und Weihegottesdienste der orthodox-katholischen Kirche des Morgenlandes. (v. Maltzew, Berlin 1897)

Wirklich lebensnah ist das alles nicht. Wenn man jedoch den „Pfeiler“ nicht wie Berdjajew liest, sondern als orthodoxer Christ, dann antwortet man anders auf die Frage:

“Ist das Kult oder kann das weg?”

Ist es möglicherweise ganz dringend geboten, Segensrituale für Internetshops, Websites und Wassersprudler zu „erfinden“? Für künstliche Befruchtungen, Seebestattungen, das Aufhängen eines Smart TV?

Assoziieren wir „orthodox“ denn nicht oft genug mit dem Kopieren der „Vätersitte“? Nehmen wir der „Orthodoxie“ dadurch die Chance, die „Kindersitte“ im Original zu prägen?

Florenski schließt nämlich keinesfalls (wie Berdjajew), dass wir auf immer und ewig unser Wasser aus Ziehbrunnen gewinnen müssen, um orthodox zu leben. Jeglicher Anflug sektiererischen Rückzugs ins „orthodoxe Reservat“ à la Anastasia oder Drehers Benedikt-Option liegt ihm absolut fern. Nur eins wollte er definitiv verhindern: dass wir einfach aufhören, die Realität zu segnen, dass wir zu doof sind, um mit der Zeit zu gehen und kreative Gebetsordnungen etwa zur Segnung einer Adoption, einer virtuellen Umgebung oder eines Smartphones zu verfassen.

Dem Himmel sei dank gab es schon Pferdekutschen und sogar erste Fluggeräte, bevor die Orthodoxie ihre kreative Gestaltungskraft verloren hat. Deshalb können unsere Priester heutzutage wenigstens die „Kaleschen“ und die „Luftschiffe“ nach Vorschrift segnen. Ob das reicht, wenn unsere Autos künftig selbständig lenken? Oder sollte man deren künstliche lenkende Intelligenz dann lieber gesondert segnen – nach dem Ritual für Ackergäule vielleicht?

Ok, jetzt bin ich wohl zu sehr im Berdjajew-Modus. Lieber will ich mit gutem Beispiel vorangehen, daher hier das

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Gebet zu Beginn eines Blogbeitrags

Herr!

Wie Du dereinst den heiligen Vätern den Sinn und die Hand geführt hast, so bewahre meinen Geist und meine Augen davor, sich in der Einöde des Webs zu verlieren, und gib meinen Fingerspitzen das Gefühl für die rechte Wahl meiner Worte und Bilder.

Wie Du Deinen heiligen Engeln Flügel verliehen hast, das Licht in die Welt zu tragen, so schenke auch meiner Kreativität Flügel und lass durch meine Gedanken Dein Licht auf den Bildschirmen meiner Nächsten leuchten.

Denn Du bist der Herr über die Fürsten des Internets, und Dein abendloses Licht möge leuchten, wenn längst alle Websites erloschen sind. Amen!

Nachdem der Webmaster dieses Gebet besprochen hat,
besprengt er Bildschirm, Tastatur und Maus dreimal mit Weihwasser 😉 und beginnt sein gottgefälliges Werk.
***

Natürlich steht bei Vr. Pawel noch viel mehr zum Gebet, auch zu Verwünschungen – aber das steht auf einem anderen Blatt. Und da man das -juhu- mittlerweile kaufen kann, sei diese Tatsache hier zumindest erwähnt.

Etwa schreibt er zum ersten Gebets-Bestandteil, der Anrufung:

Es ist ein Ruf. In der namentlichen Hinwendung eröffnen wir in einem Willensakt dem Angesprochenen unsere Getrenntheit, bestätigen uns als sekundäres Sein, erblicken vor uns etwas Höheres als uns selbst – wir legen die Selbstverschlossenheit unserer Subjektivität ab. Der Ruf ist mein Eingeständnis, dass ich nicht für mich allein existiere, und dass nicht ich der letzte Grund allen Seins bin. Folglich gehen wir in der Anrufung existenziell aus uns heraus, und der Angerufene geht existenziell in uns ein, so dass ein Verhältnis und eine Verbindung möglich wird. ….
Ob in Gedanken, geflüstert, laut gesagt oder herausgeschrien: Dieser Ruf ist ontologisch und gnoseologisch, diese Anrufung stets dasselbe – ein Öffnen unseres Selbst, unseres verborgenen Wesens, ein Fall der Grenzzäune, der Abzug der Wachen des Selbstschutzes von der Selbstisolation der Tiefen des eigenen Seins gegenüber dem Angerufenen. Dies ist der zum Entschluss seiner Realisierung gelangte Wunsch, es ist im Besonderen ein Akt des Willens, des Willens zum Dialog. Im selben Augenblick, in dem dieser Willensakt der Selbstöffnung unsererseits sich vollzieht, nicht im Anschluss, sondern in diesem Akt, ist Gott für uns der „Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, nicht ein Gott der Philosophen und Gelehrten“ [3] geworden. Mit uns im Dialog ist ein lebendiges Wesen, Es Selbst, nicht etwas, wovon wir „einen Begriff haben“ könnten.

[3] Ein Zitat aus dem „Amulette mystique“ bzw. „Mémorial“ von Blaise Pascal (1623 – 1662), vergl. Ex 3,16; im “Pfeiler”, Anhang XXV, geht Florenski ausführlich auf die von Pascal notierte mystische Erfahrung ein.


Wenn du liest, dann spricht Gott zu dir; betest du aber, so sprichst du zu Gott. Und dein Gebet ist ein angenehmes Opfer für Ihn … Wenn es aus reinem Herzen emporgesendet wird, durchdringt es die Himmel, und kehrt von dort nicht leer zurück, sondern bringt die Gaben der Gnade hernieder, die den Verstand unterweisen und die Seele retten.

Horologion für Lernzwecke für die ländliche Volksschule, Moskau 1915, S 6 (Vorwort)


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