Korban, das heißt: Opfergabe (Mk 7,11)


Steil führt der Weg durch die Felsen und den Wald zum Fuß des Mrov-Gebirgszugs. Ein schneebedeckter Gipfel, der sich scharf in den Himmel bohrt, umspült von einem samtigen, dunklen Azurblau. Nicht zu überbietende Klarheit, nichts Verschwommenes – inkarnierte Ontologie. Ein altes Heiligtum, wo sich Armenier, Georgier, Tataren, ja beinahe gar noch die Molokanen versammeln, ein Tempel, dort vermutlich weit vor der Verbreitung des Christentums begründet. Das Rosenfest Wardawar. Wasserweihe, Trinken aus dem Gemeinschaftskelch – in einem Cholerajahr! Blutige Opfertiere. Blut, Fett, Eingeweide: Waten durch die Eingeweide auf dem Boden. Überall in dieser kalten, klaren, dunstfreien ontologischen Bergluft der Geruch von Fett und Braten.   

alle Florenskij-Zitate: Philosophie des Kults I,7

So beschreibt Pavel einen der „bleibenden Eindrücke“ seiner Kindheit, aus dem Cholerajahr 1892, wo er den Sommer in Gülüstan im armenischen Kaukasus verbrachte. Eindrücke, die ihm, wie er schreibt, den persönlichen Zugang zum Kult des Jerusalemer Tempels verschafften:

Kommen wir zurück auf den (Jerusalemer) Opferaltar, mit 30 mal 15 Ellen = 16 mal 8 Meter! Dort brannte das ewige Feuer: nicht etwa ein Herdfeuer, sondern ein Großbrand, der ständig mit neuem Brennmaterial versorgt wurde. Man stelle sich das Pfeifen, Knistern und Zischen des Feuers auf solch einem Altar vor, und den wirbelsturmartigen Luftzug über dem Tempel! Es ist überliefert, dass dieses Feuer auch bei Regen niemals verlöschte. Das war zwangläufig und wenig erstaunlich – schließlich wurden hier ganze Stiere verbrannt, von den unzähligen Ziegen, Schafen usw. ganz zu schweigen. (…) Nicht aus Zufall erhielt der Opferaltar in der bildhaften Sprache der jüdischen Theologie den Beinamen Ariel, Löwe Gottes. Hat er doch wahrhaftig die Opfer und das Brennholz förmlich aufgefressen. Zur Anzahl der Opfer: nach Josephus Flavius wurden am Pessach-Fest 265.500 Lämmer geschlachtet. Der Talmud berichtet, Herodes Agrippa habe, um seine Anhängerschaft zu zählen, sich eine Niere von jedem Tier zurückbehalten lassen – es seien 600.000 gewesen. Aus Anlass der Weihe des salomonischen Tempels wurden 22.000 Stiere und 120.000 Schafe geschlachtet. Bis zu den Knöcheln standen die Priester zuweilen im Blut, von dem der gesamte Vorhof bedeckt war. Stellt euch all das vor, den Geruch von Blut, Fett, Weihrauch, der bis nach Hebron zog, dazu den Rauch, der Klang der Hörner – 21 bis 48 Mal während eines Ganzopfers, der Gesang ungezählter Chöre, dazu natürlich das Blöken, Schreien und Stöhnen der Tiere ungeachtet der Versuche, sie zum Schweigen zu bringen. Mit schwachen Nerven hatte man hier nichts verloren.

Handskizze Florenskijs aus seinem Nachlass, mit den Abmessungen des Jerusalemer Tempels und des Vorhofs, wo die Opferungen stattfanden.

Die WAHRHEIT dieser im Kult präsenten höchsten Realität war schwer auszuhalten. Die Berührung der Bundeslade war lebensgefährlich, auf die Entweihung des Kults stand die Todesstrafe. In den Bach Kidron ergoss sich das Opferblut, verteilte sich und befruchtete so ganz Palästina – so viel Blut war dort! Blut, Blut, Blut – in Strömen floss Blut, „in dem die Seele ist“ ( Lev 17, 14 ). Ungestüm bäumte sich der „Löwe“ – das Opferfeuer – auf, wenn er seine Beute auffraß und dessen Brodem vor Jahwe zu süßem Wohlgeruche aufsteigen ließ.

Die furchteinflößende Größe des alttestamentlichen Kults scheint heute einer rituellen Flachheit gewichen zu sein, die auch vor orthodoxen königlichen Pforten nicht haltmacht. Umgekehrt sollte es sein – war doch all das brutal Reale, WAHRHAFTIGE, was in Jerusalem ablief, „nur ein Schatten von dem, was kommen wird, die WIRKLICHKEIT aber ist Christus.“ (Kol 2,17)

Eine furchteinflößende, verbrennende Religion wird auf Kruzifix-Anhängerchen, Prosphoren, Ostergebäck, affektierte Kirchengesänge, Heiligenbildchen, ein bisschen Moralpredigt reduziert, auf eine der ungezählten Zerstreuungen von euch gelangweilten Müßiggängern und insbesondere auch Müßiggängerinnen…

Lauwarmes Christentum war Vater Pavel ein Greuel, und so gibt er dem Zeitgeist am Ende dieses Kapitels mit gleich vier Zitaten aus den Kommunions-Vorbereitungsgebeten den Rest:

O Mensch, der du den Leib des Herren empfangen willst, nahe dich voll Furcht, dass du nicht verbrannt werdest, denn wahrhaftig, ein Feuer ist es!

Priestergebetsbuch S. 263
(dt.: Orthodoxes Gebetbuch, Berlin-München 1989, S. 185)

Ich zittre vor Furcht, dass ich nicht gleich dem Wachs und dem Gras verzehrt werde, da ich das Feuer empfange. O furchtbares Geheimnis, o Barmherzigkeit Gottes! Wie vermag ich Staubgeborener am göttlichen Leib und Blut teilzunehmen, um so die Unsterblichkeit zu erlangen?

Kanon vor der Hl. Kommunion; ebd., S. 262 (dt. S. 160)

Ich Sünder aber wage, Deinen ganzen Leib aufzunehmen. O, dass ich nicht verbrenne!

11. Gebet vor der Hl. Kommunion, des Hl. Johannes v. Damaskus; ebd., S. 271 (dt. S. 183)

Siehe, zur göttlichen Kommunion trete ich heran. Schöpfer, versenge mich nicht bei der Teilnahme! Denn Du bist Feuer, das die Unwürdigen verbrennt. (…) Erschaudere, Mensch, da du das vergöttlichende Blut erblickst, denn es ist ein Feuer, das die Unwürdigen versengt.

Verse des Hl. Symeon Metaphrastos; ebd.

Korban ist einer der wenigen hebräischen Begriffe, die in der Bibel nicht übersetzt werden – weil der Herr das bereits selbst getan hat – doron, Opfergabe.

κορβᾶν, ὅ ἐστιν δῶρον

Mk 7,11

Der Begriff zieht sich durch die ganze arabische Welt – das islamische Opferfest heißt Kurban Bayramı – und geopfert wurde auch im Kaukasus. Wardawar, das Rosenfest, das heute im altorientalischen christlichen Armenien vierzehn Wochen nach Ostern gefeiert wird, ist nichts anderes als die christianisierte Variante davon. Schaschlik ohne Ende))) – ob es am Berg Mrov immer noch ein Schlachtfest ist, wer weiß.

Im Nepal feiert man alle fünf Jahre Gadhimai. Wer sich ein Bild davon machen will, was Jesus Christus für uns Christen unnötig gemacht hat, indem Er sich selbst darbrachte, mag es googeln. Auch da gilt:

Mit schwachen Nerven hat man hier nichts verloren.

Man hat Vr. Pavel im Zuge seines “Pfeiler und Grundfeste der Wahrheit” öfters vorgeworfen, seine Theologie käme streckenweise ohne Christus aus.
So nimm denn dies, Pharisäer:

Wir sind durch den Kreuzestod unseres Herrn Jesus Christus, des Sohnes Gottes erlöst und gerettet. Auf Seinem Blut fußt der gesamte Kult, denn Sein Allreines Blut ist das Leben selbst, in dem sich Irdisches und Himmlisches vereint. Alles Übrige im Kult existiert nicht für sich, sondern findet gerade hier, im Blut des Herrn, seine geheiligte Quelle. Möge irgendetwas auch noch so sehr den Anschein erwecken, nicht mit diesem äußerst festen, absolut zuverlässigen, geheiligten Mittelpunkt des Kults verbunden zu sein, so kann es doch ohne ein solches Verhältnis nicht existieren.

Philosophie des Kults IV,6
Bild: Andrzej Otrębski CC BY-SA 3.0

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