Theologie für Elektriker: Isolation
Wikipedia schreibt über Vater Pavel:
1924 publiziert er eine große Monografie über Dielektrika sowie sein Werk Der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit.
Das (würde es denn stimmen) wäre Vr. Pavel as we know him… Ein Buch über elektrische Isolierstoffe und gleich noch eins über Gott.
In Wirklichkeit ist der Pfeiler zehn Jahre früher entstanden. Das Thema Isolationen findet man aber im 1918 gehaltenen Vorlesungszyklus zur “Philosophie des Kults” – Isolation als theologietechnischer Terminus.
Vr. Pavel versteht darunter alles, was dazu dient, den Gläubigen aus dem Alltag herauszunehmen, aus dem also, was der Prediger als הֶבֶל bezeichnet, Luther als “eitel” übersetzt hat, und nunmehr “Windhauch” heißt (EÜ) – jedenfalls heraus aus diesem ganzen Nonsens, der uns täglich umgibt und überfordert.
Nur so, “herausgenommen” (andere sagen: auserwählt), kann man sich mit Gott einig werden, weil dem alles Eitle fremd ist, inkompatibel. Wie aber nun isolieren wir uns, wenigstens für die Zeit des Dates mit IHM, von all dem, was zu IHM nicht kommen kann, Windhauch ist?
Hier mal eine unvollständige Liste der gebotenen Isolationsstufen vor der “gewöhnlichen” Kommunion eines orthodoxen Christen am Sonntag in der Liturgie:
- Die Beichte am Vorabend (Erkenntnis, Umkehr, Vergebung – Reinigung)
- Die Gebetsregel zur Vorbereitung auf die Hl. Kommunion am Vorabend (4 Kanones, gerne mit Akathistos) und die Vorbereitungsgebete am Morgen
- Das Fasten: 6 Tage oder 3 oder 1, und jedenfalls Nulldiät ab Mitternacht
- Die Enthaltsamkeit im Bett, mindestens am Vorabend
- Der Besuch der Vesper oder Vigil (des Abendamts) am Vorabend
- Die Kleidung: Kopftuch für Frauen, Schultern und Knie bedeckt
- Das Betreten der Kirche: Dreifache Verbeugung und Bekreuzigen vor dem Eintritt, die Stufen vor der Kirche (Juden beteten übrigens auf den 15 Stufen zum Tempel von Jerusalem auch noch je einen Stufenpsalm)
- Die Geschlechtertrennung: Männer stehen rechts, Frauen links – der Sinn wird nach der ersten Verbeugung jedermann klar;)
- Der Weihrauch
- Der Ruf des Diakons “Die Türen!”
- Der Cherubimhymnus: Lassest uns nun ablegen alle Sorgen dieser Welt
Dazu kommt die Architektur der Kirche mit dem Weg durch den Eingang an der Westseite, dann durch die Vorhalle (den Narthex, wo die Büßer und die Ungetauften stehen), und durch den ikonengeschmückten Kirchenraum (im Idealfall gibt es in orthodoxen Gotteshäusern keine allzu weltliche Kunst) nach vorn, da ist Gott.
Es geht aber noch viel mehr. Eine Auswahl von Isolationen für den Zelebranten und das Allerheiligste – den Kelch mit dem Hl. Blut und der Patene mit dem Hl. Leib:
- Der Altar, abgetrennt durch die Ikonostase, mit Türen und Vorhang
- Die Altarstufen
- Die Gebete ad vela zu Beginn der Liturgie der Gläubigen
- Die Sterne und Tücher für die Abdeckung von Diskos (Patene) und Kelch, das Velum darüber, die Ripidien
- Der gewaschene, gesalbte, geweihte Altartisch, darauf mehrere Lagen Tücher, darauf das Antimension (Ileton)
- Die Waschungen der Zelebranten
- Die Priestergewänder
- Der adlergeschmückte Rundteppich für den Bischof
- Weihrauch, Weihrauch, Weihrauch
Wie gesagt, alles ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit. All das sind Werke, die eitel wären ohne den Glauben daran, dass Gott uns entgegenkommt, sich zu uns herablässt in den Kelch, von dem wir Anteil an IHM nehmen.
Aber wie der Glaube, so auch die Werke. Keineswegs liest jeder orthodoxe Christ alle Kanones, fastet sechs Tage und besucht am Vorabend die Vesper. Dann muss er es beichten, und der Herr muss ihm eben noch weiter entgegenkommen. ER tut das, aus Liebe. ER hat sich schließlich auch ans Kreuz nageln lassen. Kommt es da auf ein paar Schritte mehr oder weniger an? – Ja.
Gottesfurcht und Glaube sind proportional.
„Kommt, ihr Kinder, hört mir zu! Ich will euch in der Furcht des Herrn unterweisen“ (Ps. 34,12) Welch altmodisches Wort. Aber was tun: Wenn es euch beliebt, über Religion zu sprechen, also über eine wesentlich unmoderne Sache, werdet ihr euch mit diesem unzeitgemäßen, hier jedoch gezeitigten und immer zeitgerechten Begriff „Furcht“ anfreunden müssen. Religion ist vor allem Furcht Gottes, und wer in das Heiligtum der Religion vordringen will, der möge das Fürchten lernen. Das Fehlen von Furcht ist nicht eben Beweis von Mut, sondern – im Gegenteil – von Frechheit, von geistiger Unverschämtheit, Unverfrorenheit, wie sie feigen Naturen eigen ist, wenn sie sich ihrer Straffreiheit sicher sein können. Wer die Religion nicht kennt, der kennt auch keine Gottesfurcht. Er fürchtet sich nicht, weil er von der Bedeutungslosigkeit des Anderen, das über ihm steht, überzeugt ist.
Vr. Pavel, Philosophie des Kults, 1. Vorlesung “Die Gottesfurcht”, Abs. 2
Gottesfurcht… Oft hört man (wie es scheint, eher ironisch), sie sei „der Anfang der Weisheit“. Wenige jedoch haben sich Gedanken über die unausweichliche Wahrheit dieser Worte gemacht, die dem Spruch der Philosophen, das Staunen sei der Anfang der Philosophie, so verwandt sind. Um Erkenntnis zu haben, muss man das Objekt der Erkenntnis berührt haben. Anzeichen dafür, dass diese Berührung stattgefunden hat, ist die Erschütterung der Seele, die Furcht.
ebd.
Die primäre, grundlegende und beständigste Definition von Kult ist eben diese: er ist jener aus der gesamten Realität herausgehobene Teil derselben, wo sich Immanentes und Transzendentes, Niederes und Höheres, Hiesiges und Jenseitiges, Zeitliches und Ewiges, Bedingtes und Unbedingtes, Vergängliches und Unvergängliches begegnen.
ebd.